Weihnachten Engelgeschichte mit tieferen Sinn zum Nachdenken für Erwachsene und Jugendliche

Gitta Herzog

Marions Engel spielt Schicksal

Marions Engel

Langsam schlurfte Emil durch die neblige kalte Morgendämmerung. Es war noch still auf den Straßen. Nur ab und zu begegnete ihm ein Auto. Der Zeitungsausträger fuhr wie jeden Morgen mit seinem Fahrrad und abschätzendem Gesicht an ihm vorbei.

“Faules Gammelpack!”, hatte er ihm einmal nachgerufen. Doch auch diese Worte taten nicht mehr weh. So vieles hatte er sich schon anhören müssen.

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“Ach!” dachte er. “Jetzt aber schnell, bevor die Müllmänner kommen”. Hier war sein Lieblingsplatz. Am Tag war das eine beliebte Einkaufspassage. Ein üppiger Brunnen wurde geziert von drei kunstvoll gestalteten Figuren. Einige Bänke luden zum Verweilen und Ausruhen ein. Hier stand auch jeden Tag ab zehn Uhr ein Kiosk mit duftenden Würstchen und anderen Köstlichkeiten. Emil zog es das Wasser im Mund zusammen, wenn er daran dachte, wie er oftmals – ganz früh am morgen – im prallgefüllten Mülleimer stöberte und außer den obligatorischen trockenen Brötchen eine halbe Boulette fand. “Hmm, war das ein Fest.” Seine Augen füllten sich mit Tränen, als er an vergangene Tage dachte. “Wie lecker das schmeckte.” Sogar eine halbe Essiggurke war das letzte mal noch darin eingeklemmt.

“Bouletten –“, dachte er. Seine Frau kam ihm in den Sinn. Wie lange ist das wohl schon her, als sie am Herd stand und die runden Hackfleischteilchen ins zischende Fett legte. Keiner machte die Dinger so gut wie seine Frau.Kartoffelsalat und Bouletten – Jeden Heiligen Abend gab es sie. Was ganz Alltägliches und doch etwas Besonderes für ihn und die Kinder. Der Duft von den gebratenen Fleischküchlein, der geschmückte Tannenbaum, welcher noch in der verschlossenen Stube stand und den man erst betrachten durfte, wenn nach dem Essen das Klingelzeichen des kleinen hellen Glöckchens erschall. Wie sie sich über das Essen stürzten, nur um bald in dieses heilige geheimnisvolle Zimmer zu gelangen.

All diese Erinnerungen huschten Emil durch den Sinn, als er in dem Mülleimer kramte.

Oh eine halbe Wurst in einem Brötchen. “Also, heute scheint es mir richtig gut zu gehen”, freute er sich. Langsam wurde es heller. Der Verkehr nahm schon bedeutend zu. Hier in dem kleinen Bushäuschen, da war es etwas wettergeschützt. Da saß er oft und schaute den hektisch laufenden Menschen zu. Wie sie sich in die Busse drängten. Mitleidige, abwertende Blicke, aber auch böse und hässliche Worte musste er allmorgentlich über sich ergehen lassen. Doch seine Seele war abgestumpft. Was wussten die Leute schon von ihm. Keiner hatte eine Ahnung wie er, ein immer fleißiger Arbeiter, von einem Tag auf den anderen zuerst seinen Job und einige Jahre später dann auch seine ganze Familie verlor. Der Druck war zu groß gewesen. Egal was er versuchte, egal wie er sich aufopferte und wieviele noch so niederen Arbeiten er annahm, irgendwie schien es nie das Richtige gewesen zu sein. Er wollte für seine Familie da sein, er wollte sie versorgen, doch die Anforderungen wurden größer, das Leben teurer, die pubertierenden Kinder immer anstrengender, alles ging über seine Kräfte. Aber alles ging kaputt. Jetzt sitzt er hier. Kraftlos, auswegslos, wie ein herrenloser Hund, den keiner mag.

“Hallo”, eine helle Stimme ließ ihn aus seinen trüben Gedanken auffahren.

“Ach Marion”, ich hab dich gar nicht kommen sehen.

“Ja, du schienst ganz weit weg gewesen zu sein”, lachte das kleine hübsche Mädchen ihn an. Sie war ein echter Sonnenschein. Vor einigen Monaten hatte er sie kennen gelernt.

Das hartnäckige kleine Fräulein hatte ihn ständig mit Fragen ausgequetscht. Warum er denn immer da säße, was er denn den ganzen Tag so triebe, ob er keine Familie hätte usw. usw. Alles Fragen, an die er sich sowieso nicht gerne erinnerte. Es machte ihn anfangs wütend, doch das hübsche Gesichtchen des Mädchens strahlte so eine Klarheit und Ehrlichkeit aus, dass er irgendwann mal auf die eine oder andere Frage einging.

Am schönsten war es jedoch immer für ihn, wenn sich ihre kleinen Arme dann beim Abschied um seinen abgemagerten Leib schlangen und sie ihm noch einen feuchten Kuss auf die unrasierten Wangen drückte.

Wie schon so oft hatte sie ihm ein Vesperbrot mitgebracht.

“Die Oma denkt jetzt auch schon immer an dich, wenn sie die Brote richtet”, sagte sie lächelnd.

Der Schulbus kam und Marion fragte ihn noch hastig. „Es ist morgen zwar keine Schule, aber ich hoffe du bist auch wieder um diese Uhrzeit hier. Ich werde kommen, dann haben wir etwas mehr Zeit, meinte sie und stieg in den mit lärmenden Kindern vollgestopften Bus. Er freute sich auf morgen und auf das kleine Mädchen – sie könnte vom Alter her auch ein Enkelkind von ihm sein.

Nach der Schule ging Marion bedächtig nach Hause. Es war der letzte Schultag vor den Weihnachtsferien.

Auf dem Heimweg überlegte sie, mit was sie Emil eine Freude machen könnte. Wie so oft führte sie Selbstgespräche. Sie unterhielt sich nämlich mit ihrem unsichtbaren Freund. Irgendwann hatte sie ihn plötzlich wahrgenommen. Seither gab es keinen Tag, an dem sie ihm nicht Löcher in den Bauch fragte. Er war es auch, der sie auf Emil aufmerksam gemacht hatte. Oma hatte einmal gemeint “Sie spricht mit ihrem Engel”, als die besorgten Eltern auf das seltsame Verhalten des Kindes keine Antwort mehr fanden.

Mittlerweile hatte sich jeder, der das kleine Geschöpf kannte, an die Selbstgespräche gewöhnt, die sie mit sich selbst führte. Manch einer kam auch schon mal zu ihr und fragte ihren Engel um Rat, denn der wusste auf alles eine Antwort.

“Was meinst du Angelo, was könnte Emil an Weihnachten so richtig Freude machen?” Ihre Augen wurden fragend, dann nachdenklich und nach einer Weile strahlend.

“Du meinst, wir könnten das schaffen?”

“Ich muß Mama und Papa fragen, ob er bei uns Weihnachten verbringen darf, du hast recht, keiner ist gerne alleine, schon gar nicht an Weihnachten.”

Wie lieb hatte sie ihren großen Freund, der auf alles eine Antwort wusste. Nur die Umsetzung, die musste Marion immer mit viel Mühe alleine schaffen.

So war es auch damals, als sie Emil zum ersten mal begegnet war. Angelo hatte gewollt, dass sie sich mit ihm traf. Doch bis Emil bereit war, mit ihr zu reden, das war schon ein hartes Stück Arbeit und brauchte sehr viel Geduld. Seufzend dachte sie über die ersten Male nach, doch jetzt läuft alles prima. Sie weiß auch, dass Emils Engel ein guter Freund zu Angelo ist.

Doch Emil will nicht auf seine Engel hören, so haben die beiden sich Marion als Helfer ausgesucht. Nun – Emil war wirklich eine harte Nuss. Aber – wer hört überhaupt schon auf seinen Engel? Nur ganz wenige lauschen auf die Stimme ihres Herzens. Denn dort war Angelo drin, das wusste Marion ganz genau.

Er hatte sie immer getröstet, wenn sie traurig war und sie sich einsam fühlte, aber er hatte auch schon mal mit ihr geschimpft, wenn sie die Hausaufgaben nicht machen wollte. Ja – manchmal konnte er auch richtig streng sein. Aber er hatte sie auch schon vor vielen Gefahren beschüzt.

“mama darf ich Emil mal mit nach Hause bringen” bettelte die Kleine.Im Prinzip gerne , aber wir werden das beim Abendbrot mit der ganzen Familie besprechen”, entschied die Mutter.

Für die Familie war dieser Zug der Nächstenliebe selbstverständlich. Doch ihr Vater wollte den Mann vorher doch lieber selber kennenlernen. Man musste ja auch vorsichtig sein. Vater konnte ja nicht wissen, dass ihr Engel und der Engel von Emil Freunde sind, dachte das kleine Mädchen.

Welch ein Zufall war es dann als die beiden Männer sich gegenüberstanden und feststellten, dass sie uralte Freunde waren.

Beherzt lud Marions Vater seinen lang vermissten Nachbar zu sich und seiner Familie ein. Dort fielen sich alle um den Hals vor Freude.

Emil erzählte seine lange traurige Geschichte vom Weggang der Familie. Dem Arbeitstellen abklappern das immer mit Frust und Enttäuschungen endete. Zu alt, nicht kompetent genug, usw. Die Familie hörte betroffen zu. Als er nichts mehr zu berichten wusste, da lief Helga zu ihrem kleinen Schreibtisch und holte ein paar Briefe hervor. “Ich bin immer noch mit Anna in Briefkontakt. Auch ihr geht es nicht gut, die Kinder kümmern sich um sie. Ihr habt auch schon einen kleinen Enkelsohn, er heißt auch Emil, stell dir vor. Ich glaube sie denken auch noch viel an dich.”

Als Emil das hörte, liefen ihm die Tränen die unrasierten Wangen herunter. ich würde sonst was dafür geben, wenn ich wieder bei ihnen sein könnte, weinte er. Marion schmiegte sich an den verzweifelten Mann um ihm beizustehen.

Leise fragte sie Angelo: “Was denkst du, ob seine Familie ihn noch sehen will? Du kennst dich ja da besser aus.”

“Sag Emil, er soll heute noch in die Zeitung bei der Stellenvermittlung nachsehen und sich gleich bewerben, auch soll er sich waschen und rasieren und noch heute seine Familie besuchen.”

Marion gab aufgeregt die Botschaft des Engels den Erwachsenen weiter.

Der Vater holte die Zeitung hervor und die Mutter bot Emil an, sich bei ihnen zu duschen. Sie legte noch Rasierzeug und frische Wäsche und Kleidung ihres Mannes zurecht. Sie mochte diesen stillen Mann sehr

Als Emil aus dem Badezimmer kam, so frisch duftend und glatt rasiert, da staunte Marion nicht schlecht über sein doch sehr schönes ebenförmiges Gesicht. Seine Zähne, die hatte er immer gepflegt, das war ihm wichtig gewesen. Der hellblaue Rollkragen des Vaters und die dunkle Hose passten ihm wie angegossen.

“Ich bin euch so unendlich dankbar. Ich habe das Gefühl, im Himmel zu sein.”

Lachend sah ihn die Familie an und Bernd schob ihm die Zeitung zu. “Hier! Wenn der stille Freund Marions sagt, du solltest mal in die Zeitung sehen, dann tu das auch – Angelo hat immer Recht. Wir haben das lange nicht erkannt und immer viel zu viel mit dem Kopf gedacht, anstatt zu fühlen und auf unser Herz zu hören. So kam vieles für uns nicht in Frage, was doch so naheliegend und gut gewesen wäre.”

Emil schaute skeptisch die Anzeigen durch. “Also beim besten Willen, ich kann da nichts passendes für mich entdecken sagte er enttäuscht.”

Marion blickte auch mit ins Blatt und sprach leise zu Angelo. “Wo hast du denn gemeint, steht was für Emil drinnen?”

“Hier, ich habs. Die Bahnhofsmission sucht einen Wärter.”

Emil bekam große Augen. “Dort kenne ich viele. Oft habe ich auch mal ausgeholfen und Menschen betreut, wenn ich gemerkt hatte, dass sie Hilfe brauchen. Ich gehe gleich mal hin.”

Einige Stunden später kam ein glückstrahlender Emil zurück und erzählte freudig, dass er die Stelle ab ersten Januar haben kann. Er hatte Glück, weil die Mitarbeiter ihn kannten und ihn lobend erwähnt hatten. Seine uneigennützige Hilfe, die manchmal mit einem Teller Suppe entlohnt worden war, hat sich heute ausgezahlt. “Angelo sagt auch immer, dass jede gute Tat vom Himmel belohnt wird”, kam aus Marions kleinem Mund.

“So! – Ich hab auch noch eine gute Nachricht”, meinte die Mutter. Deine Frau ist sehr aufgeregt gewesen, als ich über dich und dein jetziges Leben erzählte,.

Die Haare von Anna sind schloweß und das Gesicht faltig geworden

. Mit klopfendem Herzen sah Anna auf ihren Mann. Auch er hatte die Zeichen des Lebens ins Gesicht geritzt bekommen. Doch seine Hände waren noch wie früher kraftvoll und warm. Langsam sah sie hoch in seine gütigen Augen und Tränen liefen ihr dabei herunter. Sie hatte ihn so sehr vermisst. Sie und die Kinder hatten sich so viel zu erzählen.

Eine Nachricht lag später vor der Tür.

Kommt bitte morgen zu uns und dann werden wir gemeinsam Hl. Abend feiern.

Liebe Grüsse

Eure Freunde

Seitdem denken Emil und Anna jeden Tag vor Hl. Abend an dieses Weihnachtsfest zurück. Bei ihnen ist noch einmal das große Glück eingekehrt. Beide haben noch einmal zu einander gefunden und in der neuen Arbeit ist Emil richtig aufgebüht. Jeden Hl. Abend macht er freiwillig mit seiner Frau Dienst. Sie bäckt viele Bouletten und Plätzchen und er spielt auf seiner Mundharmonika Weihnachtslieder. Die Einsamkeit hat nun keinen Platz mehr in den Herzen dieser Menschen. Sie sind für ein paar Stunden eine große Familie.

Später dachte er oft: “Wenn ich nicht so bettelarm gewesen wäre, dann hätte ich nie meine richtige Berufung gefunden. In dieser Arbeit kann ich für die Menschen da sein, die so hoffnungslos sind wie ich es war.”

Und noch etwas hat er dazu gelernt

Seit dieser Zeit hört er auf seinen Engel und ist ihm täglich dankbar.

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