traurige wahre Weihnachtsgeschichte aus der Zeit nach dem Krieg

Gerda Onorato

Erinnerungen an Weihnachten nach dem Krieg

Wahre Geschichte aus Saarbrücken 1945, von der Autorin festgehalten. Alt-Saarbrücken wurde im zweiten Weltkrieg schwer getroffen, die historische Ortsmitte (Nanteser platz) völlig zerstört. Große Teile um St. Johann wurden weniger getroffen.

ludwigskirche zerstoert

Der Krieg war schon seit einiger Zeit vorüber, aber Saarbrücken war immer noch zerstört durch die schrecklichen Bombenangriffen der letzten Kriegsjahre und so waren die meisten Familien fortgebracht worden in Gegenden, wo es nicht so gefährlich war.

Meine Eltern und ich hatten das große Glück nicht in die Fremde zu müssen, sondern konnten bei der Familie meiner Mutter unterkommen, die in einem kleinen Dorf im nördlichen Saarland wohnte. Es wurde zusammengerückt – das war für die Erwachsenen sicher nicht immer angenehm. 


Für mich war es wunderbar – hatte ich doch meine Mama, die Großeltern, zwei Tanten, vier Cousins und eine Cousine nicht nur in einem Ort, sondern in zwei Häusern nebeneinander alle beisammen. Die drei Väter waren anfänglich noch in Kriegs-gefangenschaft, kehrten aber bis auf einen – der bis heute als vermisst gilt –  im Laufe des Jahres 1946 wieder heim.

Mein Großvater betrieb unter Mithilfe der Frauen (seiner 3 Töchter, von denen eine meine Mama war) und meiner Oma,  eine kleine Landwirtschaft mit zwei Kühen, zwei Schweinen, einer Ziege, sowie einigen Hühnern und bestellte ein paar  Felder. So hatten wir schon mal immer alle satt zu essen! Außerdem arbeitete Opa in der Forstverwaltung, so dass auch immer genügend Holz zum Heizen da war und –  darüber hinaus –  auch noch genügend Holz um es eventuell  gegen fehlende Dinge oder Dienstleistungen einzutauschen. Zum  Schmieren, wie man das nannte.

So konnte man z.B. den Müller veranlassen, einen oder zwei Sack Korn zu mahlen oder den Metzger überreden, ins Haus zu kommen und eine Wutz „schwarz“ zu schlachten und ähnliches mehr.

Es muss in dem sehr kalten Winter 1946/47 gewesen sein; draußen fror es Stein und Bein. Morgens zur Schule musste jedes Kind, so möglich, ein Stück Holz oder ein paar Kohlen mitbringen, damit der Schulsaal besser geheizt werden konnte.

Mittags nach den Hausaufgaben gluckte ich mit meinem Cousin Herbert zusammen, der mit mir in die zweite Klasse ging. Wir drückten uns die Nasen an Omas Küchenfenster platt und hauchten Gucklöcher in die Eisblumenmuster. Wenn das Wetter es zuließ, mussten wir draußen spielen. Wir machten Schneeballschlachten mit anderen Kindern, schlimmerten auf Eisbahnen oder durften auch schon mal mit Freunden, die noch einen Schlitten hatten, mitfahren. Wenn sehr schlechtes Wetter war, durften im Haus von Herberts Mama in einem unbewohnten Zimmer spielen, das als Rumpelkammer bekannt war, und wo allerlei alte Möbelstücke und Werkzeuge herumlagen. Dort stand auch unser Schaukelpferd, das weder Schwanz noch Ohren hatte, und wir nannten es deshalb „unser armes Pferd“. In unserer Fantasie ritten wir mit ihm jedoch im „Schweinsgalopp“ über Wiesen und Felder.

Meistens gesellte sich unsere kleine Cousine dazu. Deren größerer Bruder hatte es nicht so mit uns, der spielte lieber mit seinem Freund „Heilige Messe“. Dieser war nämlich als Kind schon sehr fromm und  fest davon überzeugt, wenn er einmal groß sei, Pastor zu werden. Die beiden anderen Jungen (Herbert`s Brüder) fühlten sich mit ihren 12 und 13 Jahren schon zu erwachsen für uns und schraubten mit den verbliebenen Überresten eines Märklin-Baukastens Fantasiegebilde zusammen, die wir auf keinen Fall anfassen durften!

Nikolaus-Abend war für unsere Begriffe schon ewig vorbei und wir konnten nicht glauben, dass es bis zu dem  Tag, an dem das Christkind kommt, so lange dauern könnte. Immer wieder quälten wir die Erwachsenen mit der Frage. Wie lange denn noch??

Bald, war die Antwort, könnt ihrs denn nicht erwarten?

Und immer mal  wieder hörten wir sie auch sagen: „Diesjahr ist das Christkind arm – nicht mal ein bisschen Weißmehl, kaum ein bisschen Zucker.. es wird wohl auch keine Geschenke mitbringen.“ Jedes Mal sank uns der Mut. Aber mein Cousin und ich  trösteten uns gegenseitig und bestätigten uns selbst, wie brav wir doch seien, und braven Kindern bringt das Christkind was! So hatte es der Nikolaus versprochen, der selbst nur ein paar Nüsse ins Zimmer geworfen und Ruten verteilt hatte.

An manchen Nachmittagen waren unsere Mütter bei Oma in der Küche versammelt und wir Kinder durften keinesfalls vom Spielen hereinkommen, ehe wir nicht gerufen wurden. Ein süßer, vielversprechender Duft schwebte dann in der Küche, und wir fragten uns: ob das Christkind vielleicht doch gebacken hat?

Endlich war dann der Heilige Abend gekommen. Das war vielleicht ein langer Tag! Die Zeiger der Kirchturmuhr wollten und wollten nicht vorrücken, und wir wussten nichts mit uns anzufangen. Die Erwachsenen konnten uns auch nicht gebrauchen; sie waren emsig mit allerlei geheimnisvollen Dingen beschäftigt und flüsterten viel miteinander. Opa und mein Onkel „Baddiss“ werkelten noch unten in der Futterküche herum – da durften wir nicht hin. Oma, Mama und die Tanten waren dauernd in der guten Stube verschwunden. Da durften wir auch nicht hin.

Mein Papa, dessen Spezialität das Erzählen von Tierfabeln war, versuchte, uns die Zeit mit Geschichten zu vertreiben, aber an diesem Tag konnten weder Hase und Fuchs, noch Bär und Wolf uns fesseln.

Als es dann endlich dunkel wurde, waren alle mit ihrem geschäftigen Treiben fertig geworden und die ganze Familie versammelte sich in Omas Küche: Die Erwachsenen redeten und redeten und wir Kinder vergingen fast vor Ungeduld. Auf einmal sagte mein Papa: „Ich will doch mal nachsehen, ob das Christkind nicht bald kommt“  und verließ die Küche in Richtung gute Stube. Als er endlich wiederkam meinte er, nun sei es wohl bald soweit.

Horch! Hatte da nicht ein Glöckchen geklingelt? Wir wussten kaum, ob wir uns trauen sollten, ins Wohnzimmer zu gehen, wurden dann aber doch ermutigt. Opa machte die Tür auf und wir spitzten  an ihm vorbei und konnten alle nur sagen:  Aaaah…. und Ooooh!

Das Fenster stand noch einen Spalt breit offen und Papa nahm das als Bestätigung, dass das Christkind soeben wieder weggeflogen seiUnd was hatte es uns alles dagelassen!

Ein geschmückter Tannenbaum strahlte im Kerzenschein so schön, wie ich noch nie einen gesehen hatte. Dass es nur die Kerzenstummel der Vorjahre waren, merkten wir Kinder ja nicht.

Und noch mehr Wunder: für jedes von uns Kindern ein Christkindchenteller mit einem rotglänzenden Apfel, mit Nüssen und den schönsten Plätzchen, die man sich nur denken konnte. Und außerdem…… da standen auch noch Päckchen und andere Sachen zugedeckt unter dem Weihnachtsbaum. Man konnte die Herrlichkeiten gar nicht fassen.

 Mein Großvater stimmte „Stille Nacht“… an und alle sangen mit! Bei der 2. Strophe wurden die Erwachsenenstimmen dann etwas wackelig, Opa musste seine Brille abnehmen….. und Oma setzte sich still in ihren Sessel. Bestimmt war sie in Gedanken wieder bei ihrem vermissten Sohn und schon seufzte sie auch: „Wo Peter wohl sein mag, ob er es warm hat? Meine Tante legte tröstend den Arm um Oma.

Dann mussten die Kerzen schon wieder ausgeblasen werden und endlich, endlich wurden auch die Gaben ausgeteilt, die das Christkind gebracht hatte. Herbert und seine beiden Brüder packten gestrickte Pudelmützen und Fausthandschuhe aus, die sie alle sofort anzogen und kurz am geöffneten Fenster ausprobieren durften. Ich bekam einen kleinen Tisch und ein Stühlchen und mir fiel ein, dass in der letzten Zeit der Schreiner mal bei Opa gewesen und dann mit einem Päckchen unter dem Arm fortgegangen war.

Mein Cousin Theo – der mit dem frommen Freund – erkannte seinen alten Schlitten – der eigentlich unbrauchbar gewesen war – unter dem Weihnachtsbaum wieder. Er staunte nicht schlecht: der Schlitten hatte neue Kufen!  Wer weiß, womit Opa den Dorfschmied davon überzeugt hatte, dass ein Schlitten ohne ordentliche Kufen zu nichts zu gebrauchen ist! ?

Meine kleine Cousine Helga fand ihre altbekannte Puppe wieder, die sie seit einiger Zeit vermisst hatte. Diese hatte ein schönes neues Kleid bekommen. „ Das ist ja ein Hemdkleid“ rief meine Cousine. Sie war eine ganz Gewitzte und hatte gleich erkannt, dass das Puppenkleid aus dem Rückenstück von Opas altem Hemd geschneidert war.

Wir waren alle ganz aus dem Häuschen vor Freude.

Die Erwachsenen bekamen keine Geschenke. Sie waren zufrieden und froh, weil wir Kinder glücklich waren und Opa meinte, nun müssten wir doch noch ein Lied singen und er stimmte an:      Oh du fröhliche…


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Wenn Großeltern oder Urgroßeltern von früher erzählen, werden Erinnerungen wach, die man sein ganzes Leben nicht vergessen hat: an in Heimarbeit hergestellte Geschenke, an selbstgestrickte Wollsocken, an Puppen, die in der Adventszeit verschwanden und neu eingekleidet zu Weihnachten zurückkamen, an die frühe Morgenmesse am ersten Weihnachtsfeiertag, an Plätzchen aus Eichelmehl, Wunschzettel auf der Fensterbank, die das Christkind über Nacht abholte, an »bunte Teller« und den Blick durchs Schlüsselloch in die gute warme Stube.

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