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Oh Tannenbaum
Eckhard Leyser
Diese alte kurze Weihnachtsgeschichte erzählt vom Jahr 1954, dem Jahr in dem Deutschland die Fußball-WM gewonnen hat..
1954 war ein ganz besonderes Jahr. Deutschland hatte die Fußballweltmeisterschaft in Bern gewonnen und mein Vater lief monatelang mit stolz geschwellter Brust umher und sagte jedem, dass „wir wieder wer seien“. Was immer das zu bedeuten hatte. Es war auch das Jahr, wo mein Vater sein erstes Auto kaufte, einen DKW-Meisterklasse, Zweitakter,
Baujahr 1936, mit Sperrholztüren, für 200 Mark. Die Türen durften wir Kinder streichen. Die Farbe war braun. Doch wir hatten vergessen die Dose aufzurühren, deshalb waren die Türen vorne hellbraun und wurden nach hinten immer dunkler. Wir tauften das Auto übrigens „Flotter Peter“.
Nach den Schulferien schlug ich mir bei einer Rauferei in der Hochfeldschule beide Schneidezähne kaputt und lief seitdem mit einer prächtigen Zahnlücke durch die Gegend.
Auch das Weihnachtsfest blieb mir als damals Neunjähriger in prägender Erinnerung. Mein Vater versuchte zeitlebens, alles möglichst billig zu kaufen und war ständig auf Schnäppchenjagd. Mir fiel damals auf, dass wir zwei Tage vor Heiligabend immer noch keinen Baum im Hof stehen hatten. Ich sah dann auch nicht mehr nach und ließ mich am Bescherabend überraschen. Meine Mutter läutete wie immer gegen 18 Uhr ein Glöckchen und meine beiden älteren Schwestern und ich traten erwartungsvoll in das Wohnzimmer unseres Reihenhauses. Doch als ich den Baum sah, blieb mir der Mund offen stehen und Tränen schossen mir in die Augen. Doch es waren keine Tränen der Ergriffenheit sondern mehr der Enttäuschung. Es war der hässlichste aller hässlichen Tannenbäume, die ich jemals gesehen hatte. Eine besonders kurznadelige Fichte von vielleicht einem Meter Höhe, an der fast keine Äste dran waren. Um diese Lücken zu schließen und den Baum etwas aufzupeppen, hatte mein Vater noch, handwerklich höchst stümperhaft, weitere Zweige in den mageren Stamm gesteckt. Einige silberne Christbaumkugeln, Lametta und vielleicht zehn Wachskerzen, unterstützt von drei oder vier brennenden Wunderkerzen rundeten den deprimierenden Gesamteindruck ab. Weil selbst meinem Vater das ganze offensichtlich auch nicht so richtig gefallen haben musste, hatte er eine Schaumsprühdose besorgt und die dünnen Zweige mit dickem Kunstschneeschaum besprüht. Er musste meine Enttäuschung jedoch gespürt haben und gab zu bedenken, dass der Baum nur 20 Pfennig gekostet habe. Der Samen-Burger habe ihn sogar von ursprünglich 2 Mark herabgesetzt, weil es bereits kurz vor Weihnachten war. Nun ja, ich versuchte meine Tränen zu unterdrücken und wollte schon tapfer das gemeinsame „Stille Nacht, heilige Nacht“ anstimmen. Doch dann geschah das nächste Unglück. Vor lauter Herumzupfen meines Vaters an dem mickrigen Baum fing dieser Feuer. Und schnell wie mein Vater in solchen Dingen immer war, packte er den Baumwinzling mit seinen großen Bratpfannenhänden und warf ihn kurzerhand durch das blitzschnell geöffnete Fenster auf die Terrasse. Somit war das Baumproblem endgültig gelöst.
Und wie ging es weiter? Wir sangen trotz des intensiven Geruchs nach verbranntem Kunstschnee noch einige Lieder, mein Vater las wie immer das Lukasevangelium vor und dann kam die Bescherung. Was ich bekommen habe? Soweit ich mich erinnere, waren es wie jedes Jahr Unterhosen und Socken, dazu einen Pulli, einen Füllfederhalter und eine kleine Metalleisenbahn zum Aufziehen. Die fuhr immer knapp drei Runden, bis die Feder wieder erlahmte. Zum Schluss haben wir dann doch herzlich gelacht, als wir den abgekühlten Jammerbaum auf der Terrasse betrachteten.
Aus heutiger Sicht, wo fast alles anders aber nicht unbedingt immer besser ist, bleibt mir von damals vor allem der angenehme Duft nach frisch gebackenem Weihnachtsgebäck in Erinnerung. Ein Duft, der uns vor Weihnachten immer über viele Wochen begleitete.
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