Eine heitere Weihnachtsgeschichte über Santa

Octavia Bender

Auf Santa ist Verlass

Der Stationsarzt hörte beinahe den Stein der Erleichterung von Sallys und Frieders Herz poltern, als er ihnen mitteilte, sie dürften Kevin morgen wieder mit nach Hause nehmen. Seit gut zwei Wochen hatten die beiden abwechselnd am Krankenbett ihres Sohnes zugebracht, der mit einem rätselhaften Fieber eingeliefert worden war. Anspannung und Sorge hatten den beiden jungen Menschen tiefe Furchen ins Gesicht gegraben, doch die gute Nachricht wischte für einen Moment die Müdigkeit aus ihren Augen.

   „Es ist Samstagnachmittag!“ stellte Frieder fest, als sie auf dem gebohnerten Krankenhausflur standen.

Santa Claus

 „Und morgen, am Sonntag, ist dann also der Tag vor Heilig Abend!“ spann Sally den Gedanken weiter. Sie wusste nicht, ob sie vor Erleichterung über den zufriedenen Bericht des Arztes lachen oder über den Zeitpunkt der Mitteilung weinen sollte.

  „Immerhin ist Kevin wieder gesund!“ munterte Frieder sie auf. „Weißt du was? Ich sause los und versuche noch irgendetwas zu bekommen. Du bleibst bei Kevin und versuchst ihm klar zu machen, dass Weihnachten dieses Jahr etwas dürftig ausfällt.“ Er grinste ein wenig. „Weißt du, Sally, auch Santa Claus kann schließlich nicht überall gleichzeitig sein. Meinst du, du kannst das unserem Sohn begreiflich machen?“

  „Ich versuche mein Bestes!“ versprach Sally tapfer, obwohl sie Kevin genau das bereits seit vier Tagen zu erklären versuchte.


  Bevor sie diese schwere Aufgabe anging, lief sie schnell in die Eingangshalle zu den Kartentelefonen. Ihre Mutter würde heute Abend von London aus in den sonnigen Süden fliegen; sie wollte ihr gerne „Good-bye“ sagen.

  „Hey, Mom“, begrüßte sie ihre Mutter, als die den Hörer gleich beim ersten Klingeln hochnahm, doch sie hörte nur nuschelnde Stimmen im Hintergrund: „Den Sonnenhut, ja, aber doch nicht diesen mit dem ganzen Gemüse drauf… Clare, wir fahren in die Wärme, was willst du mit dem Dufflecoat…“

  „Mom, ich bin es, Sally“, versuchte sie dazwischen zu kommen.

  „Wer?“ fragte eine irritierte Stimme.

  „Na, hör’ mal, Mom, hier spricht deine einzige Tochter! Und das aus Deutschland!“

  „Ach, Darling, wie schön…“, die Stimme entfernte sich vom Hörer, „nun bring mir nicht den ganzen Koffer durcheinander! Marianne, ich möchte die festen Schuhe aber mitnehmen…“ Der Hörer wechselte offensichtlich von einer Hand in die andere. „Wie geht es dir, Liebes? Hier ist so viel los!“

  „Das merke ich“, grinste Sally resigniert, „ich wollte dir auch nur sagen, dass es Kevin besser geht. Er darf morgen nach Hause.“

  „Das ist wunderbar!“ für einen Moment klang wirkliches Interesse aus der Stimme heraus. „Das ist ja genau am Heiligtag. Na, da wird er sich aber freuen, was?“

  „Klar“, stimmte Sally zu. Es hatte keinen Wert jetzt zu erklären, dass Kevin selbst es noch gar nicht wusste. „Aber stell die vor, Mom, wir haben nichts besorgt! Vor lauter Sorge um Kevin haben wir es verpasst, einen Weihnachtsbaum zu kaufen, geschweige denn irgendwelche Geschenke oder einen Truthahn!“ Ihr fiel auf, dass sie das Chaos ihrer Mutter damit eher fördern würde.  „Ach…“, sie lachte betont fröhlich, „Frieder hat sich schon auf den Weg gemacht! Er wird sicher noch etwas bekommen!“ „Ja, ganz sicher“, bestätigte ihre Mutter abwesend, „dann grüß mal meinen Lieblingsenkel und gib ihm einen dicken Kuss von seiner Granny!“

  „Mach ich, Mom, mach ich!“ versprach Sally. „Ich wünsche dir wundervolle Ferien mit Marianne, und ein schönes Fest und eine gute Reise!“  Es hatte keinen Zweck, das Gespräch weiter zu führen. „Bye, Mom, bye!“ Sie hörte das Klicken in der Leitung und war nicht einmal sicher, ob ihre Mutter die letzten Worte wahrgenommen hatte.

  Ein wenig traurig drehte sie sich um und ging geradewegs zu Kevins Zimmer, um ihm die guten Neuigkeiten zu erzählen – und um ein wenig seine Gedanken an Santa Claus zu bremsen.

  Kevin bemerkte nicht einmal, dass jemand hereingekommen war.

  „Natürlich kommt Santa auch zu dir!“ versicherte Kevin gerade seinem Nachbarn, einem zierlichen, blonden Jungen, der mit großen ängstlichen Augen in die Welt schaute. „Santa vergisst niemanden, auf den ist Verlass!“ Es hörte sich an, als spreche er von einem guten Kumpel.

  „Du meinst, er findet mich hier?“ fragte der Kleine zaghaft.

  „Aber klar, mich findet er hier ja auch!“ erklärte Kevin im Brustton der Überzeugung. „Santa Claus weiß einfach alles und sieht auch alles!“

  „Soso, kennt er auch deine Schandtaten?“ fragte Sally lachend.

  „Aber Mami“, treuherzig sah Kevin zu ihr auf, „bei mir kann er doch gar keine finden!“

  „Nein?“ Sally zog die Augenbraue hoch. „Aber hier wird er dich auch nicht finden. Jedenfalls nicht am Heiligen Abend! – Du darfst nämlich morgen nach Hause kommen.“

  „Whow!“ Kevin sprang begeistert auf und umarmte seine Mutter. „Dann findet er mich eben zuhause!“

  „Weißt du, Santa Claus hat sehr viel zu tun“, begann Sally vorsichtig, „vielleicht solltest du nicht ganz so fest mit ihm rechnen. Sieh mal: du warst im Krankenhaus, nun muss er umplanen, weil du wieder zuhause sein wirst. Grandma besucht er normalerweise in London, dieses Mal ist sie auf Mallorca. Das ist für Santa ein hübscher Umweg.“

  Doch so sehr Sally auch versuchte Kevin eine herbe Enttäuschung zu ersparen, sie schaffte es nicht, ihn zu überzeugen, dass ein Weihnachtsmann tatsächlich in Schwierigkeiten kommen konnte. Als Frieder am Abend zur Ablösung kam, damit Sally in ihrem Kiosk arbeiten gehen konnte, zuckte er nur bedauernd die Schultern. Er hatte kaum noch etwas erreicht. Auch Sally schüttelte den Kopf. „Versuch du es noch einmal“, munterte sie Frieder grinsend auf, „ich habe mein Bestes getan!“


  Während Frieder zwei anstrengende Stunden damit zubrachte, Kevin die Menschlichkeit von Santa Claus zu erklären, der tatsächlich nicht zu jedem kleinen Jungen  auf dieser Welt gleichzeitig kommen könnte, wartete Grandma Clare am Londoner Flughafen auf ihren Aufruf. Schon während der Taxifahrt war ihrer Freundin Marianne aufgefallen, dass Clare irgendetwas eingehend beschäftigte. Sie beobachtete sie genauestens und wunderte sich schließlich nicht allzu sehr, als Clare in ihrem Adressbüchlein herumstöberte und ihr dann eine Anschrift unter die Nase hielt: „Hier, kennst du noch Chris?“

  „Ja, doch“, antwortete Marianne zögernd. „War das nicht diese Aupair-Mädchen, das bei dir vor zehn Jahren im Haushalt gearbeitet hat?“

  „Genau die“, bestätigte Clare, als habe sie soeben den ersten Preis gewonnen. „Und sie wohnt gar nicht weit weg von Sally und Frieder!“

  „Und…?“ fragte Marianne vorsichtig. „Zu der hast du doch gar keinen Kontakt mehr, oder?“

  „Och, hin und wieder schon!“ behauptete Clare, dann verkündete sie: „Ich habe da so eine Idee“, entschuldigte sich und marschierte zielstrebig auf eines der Telefone zu.

  „Aber unser Flug…“, Marianne winkte lachend ab. Ihre Freundin hatte eine Idee und war nicht mehr zu bremsen. Sie hoffte nur, dass die Verwirklichung dieser Idee nicht allzu lange dauern würde.


  Im Gegensatz zu Frieders Mission verlief Clares recht erfolgreich. Sie erreichte eine vollkommen überraschte Chris, die sich nach dem ersten Begrüßungswortschwall von Kevins Krankheit und Genesung berichten  und von Clares Idee begeistern ließ.

  Das Telefonat endete recht abrupt, weil Clares Flug bereits zum zweiten Mal aufgerufen worden war und Marianne wild winkte und gestikulierte. „Ich verlass mich auf dich!“ schloss Clare. „Tu das, ich denke mir schon was Hübsches aus!“ versprach Chris, dann hängten beide ein.


  Sally und Frieder verließen das Krankenhaus am Heilig-Tag am frühen Nachmittag mit gemischten Gefühlen. Kevin hüpfte und strahlte und erzählte von nichts anderem als von Santa und von all seinen Wünschen, die er hatte. Seine von der Krankheit noch etwas eingefallenen Wangen fingen an zu glühen. In seinen Augen stand genau das Glitzern, das jedes Kind am Vorweihnachtsabend haben sollte. Sally und Frieder sahen sich verzweifelt an. Je näher sie zu ihrem Haus kamen, desto bewusster wurde ihnen, dass sie die große Enttäuschung nicht mehr abzuwenden vermochten. Sie warfen sich verstohlen besorgte Blicke zu, als sie um die Ecke bogen und die Hauseinfahrt hinauffuhren. Gleich würden sie die Haustür aufschließen, aber kein geschmückter Tannenbaum würde sie – wie sonst – im großen Flur begrüßen. Keine Girlanden würden die Wände schmücken. Nicht einmal die Weihnachtskarten hingen – wie Sally sonst an der englischen Tradition festhielt – an einer langen Schnur quer durchs Wohnzimmer. Sie seufzte und sah bedrückt auf ihre Schuhe, als Frieder abrupt den Wagen stoppte.

  „Huch!“ entfuhr es Sally. Erschrocken sah sie ihren Mann an.

  „Whow!“ kam Kevins überraschte Stimme aus dem Hintergrund.

  Sally drehte sich zu ihm um, dann folgte sie unsicher seinem Blick.  An der Haustür stand in einem großen Kübel eine bläulich schimmernde  Edeltanne. Ihre Zweige waren sorgsam zusammengebunden. Ein großer offener Karton stand daneben. Aus ihm ragten bunte Girlanden, Strohsterne in verschiedenen Größen, kunterbunte Weihnachtsbaumkugeln und silbernes Lametta.

  Vor Staunen brachte Sally kein Wort heraus. Kevin sprang als erster aus dem Wagen. Er griff in den Karton und zog mehrere weihnachtlich verpackte Päckchen heraus. Strahlend drehte er sich zu seinen Eltern um, die zögernd näher kamen. Frieder entdeckte den großen Bratentopf, der sorgsam mit Geschirrtüchern abgedeckt war. Kopfschüttelnd drehte er sich zu Sally um. Die stand vor dem Tannenbaum und hielt ein Kärtchen in der Hand.

  „Mami, was ist das?“ fragte Kevin neugierig.

  „Oh, ein kleiner Gruß von Santa Claus“, erklärte Sally ernsthaft. Lächelnd hielt sie die Karte Frieder hin. Er las: „Herzliche Grüße vom Weihnachtsmann, macht das Beste aus dem Fest, alles Liebe – Chris.“

   „Was schreibt er denn?“ fragte Kevin.

  „Nun“, Frieder räusperte sich, „er schreibt, dass er das Schmücken des Weihnachtsbaumes nicht selbst geschafft hat. Ob wir das wohl ausnahmsweise selbst tun können.“

  „Klar“, erklärte Kevin großzügig, „wir haben ihm diese Jahr aber auch wirklich viel Arbeit gemacht mit dem Krankenhaus und so…“

  „Stimmt“, bestätigte Frieder und grinste Sally an.

   

  

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